Aaallä Jahre wiedaaa… Frust oder Lust?

Dezember 2, 2007 um 10:04 pm | Veröffentlicht in Alles platti, Berlin, BildungsLückenbauten, Drumherum und anderswo, Fest-Platte, Geschichtsbuch, Kultur, Real-Poetisches, Spielwiese, Uncategorized | 4 Kommentare
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Türchenöffnen ins alte Berlin mit E. T. A. Hoffmann, Wilhelm Raabe, Vadda Zille und Co.

Weihnachten verboten!Heutzutage ist es ja sowas von IN, sich seinem Umfeld aus- und nachdrücklich als Weihnachtsmuffel zu outen. Ihr wisst schon, diese Mit-der-ganzen-O-du-seligen-nichts-am-Hut- haben-Masche. Nur Eltern mit noch nicht vollends ausgewachsenen Nachkömmlingen kriegen mildernde Umstände – die müssen ja. Damit was am Hut haben. Also mehr ja noch an der Mütze, na diesem rot-weißen Verkleidungsrequisit mit der Wattebommel – und dem stressig geschenkewütigen Drum und Dran. (Deshalb poste ich heut auch keinen Lagebericht vom Weihnachtsmarkt – der käme ja eh so ähnlich wie der vom letzten Jahr.)

Als umso aufschlussreicher, ja geradezu als Aha-Erlebnis mussten sich mir die Geständnisse kürzlicher Pausengespräche unter Kollegen erhellen: bis auf eine Ausnahme besteht jeder von ihnen auf seinem höchsteigenen Advendskalender. Die Inhalte – oder sagt man Füllungen? – variieren dabei durchaus: von ausgeklügelten Partnerüberraschungen in mit Hingabe selbst bestickten Weihnachtssäckchen über die üblichen Schokoladenfigürchen als Kalorienbombardement bis hin zu Hochprozentigem in handlichem Taschenformat. Und ich steh ja immer noch auf die alten Miniaturbildchen, wie man sie in der Kinderzeit hinter den Zahlentürchen fand. Allen gemeinsam ist wohl die Neugier, die in jedem von uns wohnt, ein um den anderen Tag eine kleine Aufmerksamkeit zu entdecken. Ich finde es schön, dass wir da ein bisschen Kind geblieben sind.

Altberliner AdventskalenderFür diejenigen unter euch, die auch gern in unbekannte Fenster schaun, häng ich hier mal den Berliner Adventskalender über alte Zeiten an die Bloghauswand, rechtzeitig zum 1. Advent, zu spät fürs erste Türle (na, dann macht halt gleich zwei auf). Den vom Zentrum für Berlin-Studien der Zentral- und Landesbibliothek Berlin nämlch, und man darf ihn getrost einen literarischen nennen. (Um ehrlich zu sein, ich hatte ihn im vorigen Jahr hier schon mal verlinkt, aber welcher faule Blogleser klickt heute schon noch auf Textlinks? Also: neuer Versuch. Warm zu empfehlen vielleicht auch mal als Horizonterweiterung für die pädophilen Typen mit etwas abseitigen Neigungen, die mir immer die Stats mit ihren perversen Suchbegriffen vollspammen oder für die, die hier auf Grund eines einst geposteten Sexspielzeug-Comics die Funktions- und Schreibweise dieses überaus beliebten HaushaltsGerätes zu ergründen suchen. Pssst, wenn ich in meine Visitor Locations schau, hab ich ja manchmal den Verdacht, dass letztere die Ranger-Jungs im Nahen Osten und Umgebung sind. 😉 ) Romantische und deftige Geschichten berühmter Landsleute, von Adolf Glaßbrenner, E.T.A. Hoffmanns oder Ludwig Tiecks Weihnacht(s)-Abend bis hin zu Wilhelm Raabes selbigem in der Sperlingsgasse legen uns nahe, dass die Licht-und-Schattenseiten-Weihnacht – wenn auch andersartig – durchaus schon im 19. Jahrhundert grassierte und keine Erfindung von uns dekadentignoranten Neuzeitlern ist. Und bescheren uns längst vergessene Begegnungen. Illustriert sind sie vom ollen Papa Zille u. a. Und auch für die Bastelblogger, Volksbräuchler und Küchenwunder ist was dabei. Aber ich will ja nicht zuviel verraten… 😉 Und mal sehen, vielleicht öffnen wir ja das eine oder andere Fensterle hier gemeinsam….

Wenn ein Lichtlein brennt…Wem das noch nicht LeseStoff genug ist, der kann ja mal wieder – zünftig, weihnachtlich und sogar online – in „A Christmas Carol“ vom guten Charles Dickens reinschmökern.

Fröhliches Türchen-Klicken allerseits! Schaltet mal einen Gang zurück, zündet ein Lichtlein an und den Räuchermann und machts euch ein wenig ruhig und besinnlich, so oft es geht…
rät (wenn sies nur mal selber tät‘)

die Hex‘.

*

P.S: Aaach, fast hätt‘ ichs vergessen – hier noch was für die Besinnlichkeit. Mit heißem Dank an den Wolf für die Vor-Ausgrabung. Obwohl seine ja eigentlich die hier mit Verstärkung war. Auf dass die nächsten Wochen für euch nicht tote Hose sein mögen… 😉
Weihnachtskaufrausch - gestern

Bilder: Geklaut Creative commons, soweit nicht vom Zentrum für Berlin-Studien

Von gläsernen Menschen, dem Hausapotheker Erich Kästner und Lost Boys, die erwachsen werden

November 19, 2007 um 3:30 am | Veröffentlicht in Alles platti, Berlin, Drumherum und anderswo, Hexentanz, Kultur, Mitmensch - unbekanntes Wesen, Real-Poetisches, Real-Politisches | 2 Kommentare

buchstabe-v.giforigen Sonntag hab ich mich nun auch nach Karlsruhe aufgemacht, naja, jedenfalls den Herrn Anwalt schon mal für mich losgeschickt, Verfassungstreue einzuklagen.

Seit letzter Woche sind es übrigens über 13. 000. 13. 000 und eine Hexe gegen den Staat. Und gegen die Rechtskraft des Gesetzes vom Gläsernen Menschen zur Vorratsdatenspeicherung. Womit sich die Zahl der von Herrn Starostik vertretenen Mandanten seit besagtem Schwarzen Freitag des deutschen Parlamentarismus vorerst mehr als verdoppelt hat. Und die Möglichkeit, hier ein Gleiches zu tun und ihn mit einem weiteren Mandat zu betrauen, wurde als verfrühtes Weihnachtsgeschenk jetzt bis zum 24. Dezember verlängert. Falls noch jemand von denen, die demnächst im Glashaus sitzen sollen, mit Steinen werfen sich dagegen wehren will.

Ich bin ja von Natur aus eigentlich kein Klageweib, und mein Gewissen ist sowas von glasklar und rein. Dochdoch, ich habe NICHTS zu verbergen, bin sozusagen ein offenes Buch. Aber wen ich da drin rumschmökern lass‘, möcht‘ – bittschön! – meine Sache sein. Und geht gar niemand Anderen nicht nix an, auch den Staat nicht. Wollt ich nur mal gesagt haben. Und dafür sollte man die Rotroben dann schon mal bemühen, finde ich…

Ja, und inzwischen hab ich mich sogar einigermaßen von der verbalen Entgleisung eines Herrn Schäuble erholt, der unser Innenminister genannt sein will. Und mit seiner diesem Posten durchaus abträglichen Äußerung: „Wir hatten den ‚größten Feldherrn aller Zeiten‘, den GröFaZ, und jetzt kommt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten“ dokumentierte, dass er wohl in nicht eine einzige ihm von uns demokratisch veranlagten Bundesbürgern übersandten GG-Broschüren auch nur einen Blick geworfen hat.

***

NebelelfenDann kann ich ja jetzt meiner sensiblen und harmoniebedürftigen Seele was Gutes tun und endlich mal meinen Blog ein wenig herbstlich melancholisch tapezieren. Und zwar bevor der Schnee, der anderwärts bereits die Skipisten bevölkert, womöglich auch hier endgültig Winter beschließt. Dazu eine wetterangepasste Freizeitempfehlung zum Umgang mit demselben in noch flüssiger Form:

regentropfen-form.jpg
Nasser November

Ziehen Sie die ältesten Schuhe an,
die in Ihrem Schrank vergessen stehn!
Denn Sie sollten wirklich dann und wann
auch bei Regen durch die Straßen gehn.

Sicher werden Sie ein bißchen frieren,
und die Straßen werden trostlos sein.
Aber trotzdem: gehn Sie nur spazieren!
Und, wenn’s irgend möglich ist, allein.

Müde fällt der Regen durch die Äste.
Und das Pflaster glänzt wie blauer Stahl.
Und der Regen rupft die Blätterreste.
Und die Bäume werden alt und kahl.

Abends tropfen hunderttausend Lichter
zischend auf den glitschigen Asphalt.
Und die Pfützen haben fast Gesichter.
Und die Regenschirme sind ein Wald.

Ist es nicht, als stiegen Sie durch Träume?
Und Sie gehn doch nur durch eine Stadt!
Und der Herbst rennt torkelnd gegen Bäume.
Und im Wipfel schwankt das letzte Blatt.

Geben Sie ja auf die Autos acht,
Gehn Sie bitte, falls Sie friert, nach Haus!
Sonst wird noch ein Schnupfen heimgebracht.
Und, – ziehn Sie sofort die Schuhe aus!

Die Kästnerianer unter uns haben es bestimmt gleich erkannt – Novembernebeles ist ein ‚Rezept‘ aus „Doktor Erich Kästners Lyrische[r] Hausapotheke“,
die erstmals 1936 (in der Schweiz) eröffnete. Und in deren Gebrauchsanweisung der Doktor K. höchstselbst erklärt: „Der vorliegende Band ist der Therapie des Privatlebens gewidmet. Er richtet sich, zumeist in homöopathischer Dosierung, gegen die großen und kleinen Schwierigkeiten der Existenz.“ Die Kästnerschen Hausmittelchen für einschlägige akute Leiden – bereitet und gewürzt mit Humor, Ironie und einer Prise Melancholie – helfen nicht nur, „wenn es Herbst geworden ist“, sondern zet Be auch, Wenn Die Besserwisser Ausgeredet Haben, Wenn Die Ehe Kaputtgeht, Wenn Vom Fortschritt die Rede war, Wenn Man An Gefühlsanämie Leidet oder Wenn Man Wenig Geld Hat…

Bei Kästner-Insidern sind die meisten Rezepturen zur „Behandlung des durchschnittlichen Innenlebens“, wie die „Sachliche Romanze“, der „Monolog mit verteilten Rollen“ oder die „Gedanken beim Überfahrenwerden“, wohlbekannt und werden immer wieder mit inniger Freude eingenommen. Mir ist das dtv-Bändchen jüngstens für ein paar Cent beim Schnäppchenstöbern in die Tasche gewandert, im Auflösungsverkauf eines betrauerten Bücherstübchens um die Ecke.

Weitere Beute daselbst (für einen kleinen roten Schein und wenige Klimperlinge): „Sämtliche Fabeln der Antike“ in einer Anaconda-Lizenzausgabe (Erstausgabe: Berlin und Weimar: Aufbauverlag 1978), Schopenhauers geheimes Hauptwerk, die „Aphorismen zur Lebensweisheit“ (Anaconda 2007, nach der Ausgabe Leipzig: Insel 1941), sechsundzwanzig „Unheimliche Erzählungen“ von Nathaniel Hawthorne, dem Zeitgenossen und Intimus des Vaters von „Moby-Dick“ sowie ein Audiobüchelchen („Lokal-Termin“) mit einer Autorenlesung des unvergessenen Robert Gernhardt. Im Covertext dazu:

„Teure Freundin,
seit jenem unvergesslichen Vormittag, da ich an Ihrer Seite durch die in der Berliner Nationalgalerie aufgebaute Ausstellung ‚Kunst wird Material‘ gehen durfte, bin ich Ihnen noch eine Antwort schuldig, die Antwort auf die Frage, die Sie angesichts einesObjekts von Joseph Beuys stellten – es handelte sich um einen Glaskasten mit vier luftgetrockneten Blutwürsten -: ‚Was soll denn der Scheiß?'“ –

Es geht um die Frage aller Fragen: Was ist Kunst? In der griechisch-altdeutsch geschmückten Taverne Wachtelstubb in Frankfurt-Bockenheim findet Norbert Gamsbart alias Robert Gernhardt letztgültige Antworten.

Ha, wenn das nicht günstig geramscht ist!

***

Zum Schluss für heute bleibt eine Frage übrig:Barrie and the lost boys
Er kann fliegen!
What if Peter Pan grew up?


Nö, ich werde sie nicht beantworten. Denn ich hoffe doch, dass alle diejenigen, die anfangen, das Kind in sich zu vergessen, das Fliegen verlernt haben und nicht (mehr) an Elfen glauben, die Lösung im preisbekränzten Spielbergschen Wochenendfilm „Hook“ gefunden haben. Wer wird denn die lehrreichen Abenteuer des erwachsen gewordenen Helden von J. M. Barrie verpassen? Wo doch, sollte er sie schleunigst nachholen, –
rät dringend
die Hex‘. 😉

Bild: J. M. Barrie-Website

Weitere Bilder und die verwendeten Zitate (deren Urheberschaft ausdrücklich gewahrt wird): Creative commons-Lizenz.

Rennpappe die Zweite. Heute: Trabi-Online-Klau

November 7, 2007 um 11:05 pm | Veröffentlicht in 2007, BlogMist, Drumherum und anderswo, Fest-Platte, Hexentanz, Real-Politisches, Uncategorized | 9 Kommentare

…und dann noch der 90. Geburtstag einer älteren Dame

buchstabe-w-g.gifenn du morgens noch im Halbschlaf deinen Computer anwirfst,
wenn du in der Zeit, die er zum Hochfahren braucht, in die Küche tappst,
wenn du dort erst mal ’nen Wachmacher durch die Kaffeemaschine jagst,
wenn du – immer noch dösend – mit dem Kaffeepott in der Hand barfuß zurück zum Monitor wankst,
wenn du nur noch mal schnell deine Emails checken willst,
wenn du weißt, dass es Zeit wird, sich warm angezogen und beschuht in die Tageshatz und den Berufsverkehr zu stürzen,
wenn du dann auf der Startseite im Aktuellen die Überschrift (okay, die halbe) und Sätze deiner eigenen einst geposteten Trabi-Laudatio liest,

dann fragst du dich doch:

Trabi-Online-KlauTräum ich noch?
Klaut da wer?
Dürfen die das?

So geschehen heute morgen – mir.

Ich hab (soviel Zeit muss sein!) zwecks Beweissicherung extra einen Screenshot gemacht – auch wenn ich erstmal suchen musste, wie das geht. 😉

Meine Version war die hier. Und wohooow, heute zum echten trabantenen Geburtstag kamen vielevieleviele Trabifreunde gucken. Danke.

***

Dass der Trabant am 7. November 1957, zum 40. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, das Licht dieser Welt erblickte, war übrigens damals kein Zufall, sondern mit voller Absicht von entscheidungstragendem Platze so hingedreht. Dieselbe hat somit heute per Addition und nach Adam Ries ihr 90. Jubiläum. Nur, damit es keiner vergisst und für den Fall, dass es jemand begehen, begießen oder gebührend würdigen mag.
Хитрый какой!Revolutionäre Matrjoschki

Bilder: Creative Commons.

Marina reloaded: Verse auf Tapeten

Oktober 14, 2007 um 7:20 am | Veröffentlicht in 2007, BildungsLückenbauten, Drumherum und anderswo, Fremd-Worte, Kalenderblätter, Kultur, Real-Poetisches | 7 Kommentare
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Ein Update zu: Wenn ich nicht liebe… – aus leicht verschlafenem aktuellen Anlass

Leidener EinblickeLeiden, die alte Universitätsstadt der Niederländer, ist ein Ort der wahren und Realen Poesie. Das verdankt sie nicht nur dem glücklichen Umstand, dass Rembrandt in ihren Mauern geboren ist, auch nicht alleine den idyllischen Kanälen und den vielen kleinen Schiffen mit den in den Himmel ragenden Masten. Nein, Leiden ist die Stadt der sprechenden Mauern.

Das ist ja nun erstmal nichts Besonderes und gleich gar nicht einmalig: Reklameposter, wahlweise Graffiti, Spontanschmierereien oder (ggf. einschlägige!) Verbotsschilder finden sich schließlich in jedem Kaff an jeder nur irgendwie zugänglichen freien Mauerfläche. Nicht so in Leiden.

Es begann 1992. Und seit nunmehr gut fünfzehn Jahren läuft die internationale Lyrik dort und Rilkes Mauerversenur dort der plakatierten Werbung den Rang ab: eine ganze Stadt ist vollgeschrieben mit – Gedichten. Ihre Häuserwände zieren in Originalsprache Verse von Shakespeare, Rimbaud, Rilke, Blok, Neruda, Bachmann und wie sie alle heißen, gelegentlich auch mit Übersetzungen ins Englische oder Niederländische. (Möchte man eigentlich wissen, wie das Gros der Häuslebauer im Lande der Dichter und Denker zu derartiger Außengestaltung seiner Eigenimmobilie stünde?) Es ist ein stummes aber grandioses Festival der Dichter der Welt. Die Einer – so er denn mag und die entsprechende Traute hat – direktemang von den Fassaden herab deklamieren kann. Über hundert große Poeten wurden inzwischen an den Giebeln und Mauern von Leiden verewigt…

Die erste, der 1992 diese Ehre zuteil wurde, war aus welchen erstaunlichen Gründen auch immer Marina Zwetajewa. Das Haus Nieuwsteeg 1 reichte ihr die Wand und trägt seitdem ihr Gedicht „Моим стихам, написанным так рано…“ (Mojim sticham, napisannym tak rano…). In einer deutschen Version könnte es so klingen:

Meinen Versen, die ich früh geschrieben,
Als ich noch nicht wusste, dass ich Dichter bin,
Die wie Spritzer aus Fontänen sprühten,
Funkenflug, der aus Raketen springt,

Die wie kleine Teufel eingedrungen,
Wo der Weihrauch träumt, ins Heiligtum,
Versen, ob vom Tod, ob von der Jugend,
– Versen, die noch ungelesen ruhn!

Verstreut sind sie im Staub der Bücherläden,
Wo niemand sie gekauft hat, kaufen wird,
Meinen Versen wird, wie teuren Reben,
In der Zukunft einst ein Platz gebührn.

Beinahe kommt es einem so vor, als hätten die Initiatoren der Häusergedichte von Leiden gewusst, dass es passt – Marinas Poesie hat sich schon immer gut mit Wänden vertragen. Die Zwetajewa hatte die Angewohnheit, die Tapeten ihres trauten Heims als Notizbuch zu benutzen und ihre Eingebungen dort mit schneller Hand hinzukritzeln. In der ersten Moskauer Wohnung der jungen Familie Efron-Zwetajewa, die heute als Museum eingerichtet ist, kann der Besucher die vollgeschriebenen Wandverkleidungen sehen. Die Schrift ist nicht von ihrer Hand, sondern nachgestaltet, denn das Domizil hat seit 1922, als Marina mit den Kindern ihrem Mann in die Emigration folgte, nachvollziehbar oft den Besitzer und auch die Tapeten gewechselt.

Marina ZwetajewaUnd dann ist da noch eine ’sprechende‘ Mauer, auch sie mit dem Namen Marina Zwetajewa verbunden. Sie gehört zu einem Haus in Berlin-Wilmersdorf – der ersten Wohnung ihres rastlosen Exils. Allerdings ist diese Mauer traurigerweise seit einem Jahr verstummt, hat aufgehört, vom Leben einer großen Dichterin zu erzählen. Denn die Gedenktafel, die sich dort befand, ist nach einer Fassadensanierung 2006 nicht mehr angebracht worden.

Nun, was soll’s. Was braucht Poesie, wie sie realer und herzwärmender kaum sein kann, schwere marmorne Tafeln, wie sie (offenbar) künstlicher und kühler nicht sein können…

Andere machen stattdessen Lieder daraus. Eins singt Alla Pugatschowa, erfolgreiche Musikdiva mit viel Stimme, die mir allerdings fast am besten so wie hier gefällt – zu schlichter Gitarrenbegleitung, nicht ins Schlagerträllern oder woandershin abgleitend. Mag die kleine Melodie ein nachträgliches Geburtstagsständchen für Marina zu ihren eigenen Versen sein (russischer Text und deutsche Fassungen hier oder da).

Am letzten Montag wäre sie 115 Jahre alt geworden.

Himmelhoch fluchend – zu Tode gejauchzt

Oktober 9, 2007 um 12:01 am | Veröffentlicht in Alles platti, BlogMist, Drumherum und anderswo, Hexentanz, Mitmensch - unbekanntes Wesen, Spielwiese, Zuhaus-Hexe | 6 Kommentare

Nicht fluchen, nur beißen!Na gut, ganz so wild ist es nun auch wieder nicht. Aber uns‘ hochverehrter Herr Geheimrat mit seinem Wortgeflügel wird halt gerne genommen – auch leicht geschüttelt. – Nicht gerührt!

Gerührt war ich nämlich ganz und gar nicht, als ich gerade feststellen musste, dass meine verlinkten Plenzdorfschen Paul-und-Paula-Filmschnipsel und die dazugehörigen Puhdys-Songs aus YouTube entschwunden (worden) sind. Womit das relevante Hexengeschreibsel nur noch halb soviel wert ist. Grrrrrrr… und da soll man nicht fluchen und in die Tastatur beißen? Also wirklich, Copyright hin oder her – es waren doch tatsächlich nur Schnipsel, höchstens zum Anfüttern und Neugierigmachen gut. Pfffff…! Selber schuld! ’ne billigere Werbung kriegen die nie wieder. Das verstehe, wer will. Dabei youtubte das Zeux dort ewige Zeiten friedlich und freundlich vor sich hin. Hmmm… werden wohl ein paar Plenzdorf-Erben ihre Advokaten von der Kette gelassen haben.

Locations of visitors to this pageAuf der Suche nach was Tröstlichem brachten mich schließlich ein paar rote Sommersprossen auf meinem Erbsenzähler der Weltkarte zum Lächeln – meine Visitor locations. Nicht, dass man nun grad ein trafficgeiler WordPresser wäre – so ein Nischenblöggele wie das von der Hex‘ ist klein, fein und mein 😉 . Aber freuen tut’s eine dann doch und sooo unspannend ist es ja auch nicht, aus welcher Herren Länder die Leute so in’n Plattenbau zu Besuch kommen.

Hach, und für die paar Tage Internetz-Visite schaut es doch schon mal ganz nett aus, nä. Nur seltsam, dass ausgerechnet die russischen Weiten auf der Landkarte so ein… öhm, schwarzes Loch?… weißer Fleck?, tja was auch immer sind. Zähln die die Erbsen etwa nich mit? Weil: selber treibt man sich eigentlich zur Genüge auf deren Seiten rum…

russische KircheHexi kurvt, äh surft

Free Burma!

Oktober 4, 2007 um 12:02 am | Veröffentlicht in 2007, Drumherum und anderswo, Real-Politisches, Uncategorized | 2 Kommentare
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Free Burma
Free Burma
Grafik: napoji

Über die aktuellen Entwicklungen: der Burma-Ticker beim Spiegelfechter.

Fastfood für Deppen oder nur ein bisschen Babylon?

September 26, 2007 um 4:15 am | Veröffentlicht in Berlin, Drumherum und anderswo, Fremd-Worte, Hexenküche, Kultur, MarktLückenbauten | 9 Kommentare

Von Döner und russischen Pelmeni

In der Potsdamer ist man ganz schön lange unterwegsEinmal in der Woche halte ich eine mobile Sprechstunde in einer Schöneberger Sprachschule ab, mit deren Inhalten ich hier um des Himmels willen keinen langweilen will. Und derentwegen ich durch die Potsdamer Straße muss. Dieses Unterfangen setzt einen markanten Wesenszug interkultureller Prägung voraus, eine antrainierte indianische Gelassenheit nämlich. Denn mehr als atemberaubende fünfsechs km/h sind nicht drin, da außer den Anliegern und einem selbst gefühlte zwei Drittel aller Berlin-Touristen, dreieinhalb Filmdrehs und mindestens ebenso viele Baustellen permanent und immerdar auf diesem Schrumpfmeilchen stattfinden.

Zum Glück ist die Schleicherei meistens ganz kurzweilig. Man kann entweder zuschauen, wie sich die Menschenschlange um die Neue Nationalgalerie wickelt, in der noch bis OktoberDie schönste Französin aus New York die schönsten Franzosen aus New York zu Besuch sind, oder mit sich selber wetten, wie oft der Audi mit Münchner Kennzeichen noch unschlüssig rechts blinkt, um am Ende links abzubiegen. Man kann sich auch die Zeit damit vertreiben, die MultiKulti-Biergärten zu zählen.
Oder die putzigen Auffahrunfälle.
Oder das Programm vom Wintergarten zu studieren.
Oder die Besucher der Erotik-Shops zu beobachten.
Oder die lustigen Benamsungen der ungezählten gastronomischen Lokalitäten zu lesen…

Über eine von denen muss ich immer grinsen. Sie prangt auf einem Riesenschild über so einem Döner-Imbiss von etwas mehr als Telefonzellengröße und lautet DURAK. Nun bin ich ja des Türkischen weitaus unkundiger als einer Handvoll andrer Sprachen und vermutlich handelt es sich bei diesem Markenzeichen schlicht und einfach um den guten Namen einer alteingesessenen Händlerdynastie vom Bosporus. Auf Russisch, von dem ich ein paar Silben mehr verstehe, bedeutet Durak (дурак) soviel wie Dummkopf, Trottel… Depp. Und jedesmal, wenn ich das Schild lese, frag ich mich schmunzelnd, wie werbeträchtig es wohl für anwohnende Russisch-Mutterzüngler sein mag. Ob selbige sich sicherheitshalber oder boykottierend – und ohne dabei auch nur einen Gedanken an tonnenweise Gammelfleisch zu verschwenden – den Genuss des dort bereiteten Fleischgeschnipsels in der Fladenbrottasche verkneifen? Und ob der brave Verkäufer des osmanischen Fastfood, das so mancher immer noch in dem Irrtum mampft, es sei, so wie es ist, in Berlin-Kreuzberg erfunden worden, um das Hintersinnige auf seinem stolzen Schild überhaupt weiß? Und auf einmal ahnt man wieder vage – wenigstens in Marktnähe – was interkulturelle Kompetenz wert sein kann.

Lukullisches aus der russischen traditionellen Küche findet sich übrigens in der Ecke um die Potsdamer herum kaum, fällt mir da gerade auf. Das Einzige, was da in kyrillischen Lettern umworben wird, ist, glaub ich, ein Nagelstudio. Dabei kann ich mich wirklich an ein paar sehr Kaminers Bärenbratenleckere Sachen erinnern, die es wert wären, die Marktnische zu bevölkern, auch wenn es die eine oder andere gegenteilige Meinung gibt. Tssssss, muss man also, frisch manikürt, den Bären selber jagen… öhm, selber russisch köcheln?

Für diejenigen, die diesbezüglich weder die nötige einschlägige Erfahrung noch das so empfehlenswerte wie totalitäre Kochbuch der Kaminers (amazon-Kurzbeschreibung: Lach dich satt! – und das bitte wörtlich nehmen) ihr Eigen nennen, hier mal so als Kostprobe und für den heroischen Selbstversuch das Rezept eines echten Klassikers – vom vielen Reden wird man schließlich nicht satt. Achtung, es ist einfach, aber etwas aufwändig und macht am meisten Spaß als lustige Alle-machen-mit-Kocherei.

Russische Pelmeni:Russische Pelmeni

Zutaten (für vier Personen):
Für den Teig:
500 g Mehl
1 Ei
200 ml Wasser
Salz

Für die Füllung:
400 g Gehacktes halb Schwein, halb Rind
50 g Butter
2 – 3 EL Sahne
1 – 2 Zwiebeln
Salz
Muskatnuss
schwarzer Pfeffer und andere Gewuerze nach Gewohnheit und Geschmack

ZUBEREITUNG:
Das Hackfleisch mit der Zwiebel vermengen und würzen. Wer möchte, kann auch noch fein geschnittene Weißkohlstreifen hineinmengen.

Die Eier mit Wasser, Mehl und Salz zu einem geschmeidigen Teig verarbeiten und etwas ruhen lassen.Den Teig halbieren. Die erste Hälfte dünn ausrollen und mit einem runden Ausstecher (ca. 5 – 6 cm Ø) Teigkreise ausstechen. Die richtige Größe für die Teigkreise hat auch ein normales Trinkglas, dessen Rand nicht allzu dick sein sollte.

Auf jeden Kreis ca. 1 TL von der Hackfleischmischung geben.
Diese dann zu Pelmeni formen. An den Rändern fest andrücken.
Ebenso mit der zweiten Teighälfte verfahren.

Einen Topf mit Wasser zum Kochen bringen. Salz, Pfeffer und 3-4 Lorbeerblätter dazugeben. Die Pelmeni ins kochende Wasser geben und ca. 5 Min. darin garen lassen.

Die Pelmeni können mit der Brühe, die mit Crème fraîche verfeinert und/oder ein bisschen angedickt wird, oder mit Tomatensauce serviert werden. Gaaanzganz lecker auch mit einem großen Klecks Schmand pur.

Приятного аппетита allerseits!
Wo ist mein großer Löffel?

Kalenderblatt: Marina Zwetajewa

September 2, 2007 um 10:58 pm | Veröffentlicht in BildungsLückenbauten, Drumherum und anderswo, Fremd-Worte, Kalenderblätter, Kultur, Real-Poetisches, So Momente halt... | 6 Kommentare

Hexenpoesie„Wenn ich nicht liebe, bin ich nicht ich selbst… Ich bin so wenig ich selbst…“

Ihr verzeiht mir doch, wenn die alte Slawistin mit ihrem verkramten Hang zur russischen Poesie sich in mir regt – an einem Tag wie diesem…? Die Hex‘ gibt sich auch Mühe, nicht allzu missionarisch rüberzukommen.

Ты меня никогда не прогонишь:
Не отталкивают весну!
Ты меня и перстом не тронешь:
Слишком нежно пою ко сну!

Ты меня никогда не ославишь:
Мое имя – вода для уст!
Ты меня никогда не оставишь:
Дверь открыта, и дом твой – пуст!

Marina Zwetajewa

Du wirst es nicht schaffen, mich zu verjagen:
Den Frühling zu bannen, hat keiner geschafft!
Mich anzufassen, wirst du nicht wagen:
Viel zu zärtlich sing ich im Schlaf!

Du schaffst es auch nicht, mich in Worte zu fassen:
Mein Name ist Wasser den Lippen – und aus!
Du wirst es nicht schaffen, mich zu verlassen:
Die Tür ist geöffnet – und leer ist dein Haus!

(Marina Zwetajewa)

Wenn es hier bei uns um die Kenntnis russischer schöner Literatur geht, fallen schnell die Namen Tschechow, Puschkin und Tolstoi. Einer schindet Eindruck mit der vollendeten Lektüre von Dostojewskis „Schuld und Sühne“, ein anderer damit, dass er ein paar von Alexander Bloks „Versen an die schöne Dame“ deklamieren kann.

Schönheit und LeidenschaftMarina Zwetajewa (1892-1941) dagegen ist in Deutschland wohl immer noch eher Insidern bekannt, obwohl sie getrost zu den größten Dichterinnen des zwanzigsten Jahrhunderts gezählt werden darf. In ihrer Heimat, der sie jahrzehntelang im Exil fernbleiben musste, wird sie von Millionen gelesen, verehrt und geliebt. Sie haben ihre Gedichte vertont, haben Straßen nach ihr benannt, ihr Museen eingerichtet, haben ihr Denkmäler gebaut, Bilder von ihr gemalt und Filme über sie gedreht…

Marina wuchs in einer Künstlerfamilie auf. Sie wurde ein wildes Mädchen, eine exzentrische und leidenschaftliche Frau, eine liebende Mutter. Und sie trug ein schweres Schicksal, geprägt von Emigration, von Ächtung ihrer Kunst und Person durch die Stalindiktatur, in Verfolgung, Armut und Isolation.

Die Poesie der Dichter des russischen Symbolismus, Andrej Bely und Alexander Blok, faszinierte sie und beeinflusste ihre eigenen frühen Werke. Aus Liebe heiratete sie 1912 sehr jung den noch jüngeren Offizierskadetten und späteren Weißen Offizier Sergej Efron, dem sie nach den Wirren der Oktoberrevolution 1922 ins Exil folgte, zuerst nach Berlin, dann nach Prag und Paris. In Berlin veröffentlichte sie ihre Gedichtsammlungen, so die „Trennung“ (Разлука) und „Gedichte an Blok“ (Стихи к Блоку).

Die Liebe zu ihrem Mann hielt dieses lebenshungrige, extrovertierte Wesen nicht von stürmischen Affären mit anderen Männern ab. Einer von ihnen war der Vollblutpoet Ossip Mandelstam; die Begegnung mit Rainer Maria Rilke, dem sie sehr nahe stand, fand nicht mehr statt, da er kurz vorher starb. Und die heftige Romanze in Prag mit einem Freund ihres ansonsten sehr nachsichtigen Gatten beendete sie, um ihre Ehe zu retten.

Marinas letzte LiebeIhre ‚letzte Liebe‘ (so nannte es der Drehbuchautor eines Dokumentarfilms über sie) war der Dichter Arsenij Tarkowskij, Vater des späteren bekannten Filmregisseurs Andrej Tarkowskij. In der für Marina so schweren Zeit, in der Mann und Tochter in Stalins Kerkern saßen, sie um beider Leben bangte und sich mit ihrem Sohn mühsam allein durchs Leben schlug, wuchs eine innige Freundschaft zwischen ihr und diesem um Jahre jüngeren talentierten Poeten. Sie zerbrach… an ein paar Versen des Freundes, die ungewollt die emotionale und sensible Zwetajewa tief in ihrem Stolz verletzten. Darüber schrieb sie ihr letztes Gedicht:
Marina auf einem der letzten Fotos

* * *
„Ich hab den Tisch gedeckt für sechs…“

Dein Vers, ich wiederhol ihn, – stets
Muss ich ein Wort darin berichtgen:
– »Ich hab den Tisch gedeckt für sechs«…
Du hast einen vergessen – den Siebten.

Zu sechst kennt ihr die Freude nicht.
Regen strömt über Gesichter…
Wie konntest du an solchem Tisch
Den Siebten vergessen – die Siebte…

Deine Gäste sind nicht froh,
Und die Kristallkaraffe kreist nicht.
Traurig sind sie, du – sowieso,
Die man nicht einlud ist’s – am meisten.

Nicht froh, und es wird auch nicht heller.
Ach! lasst das Trinken und das Essen.
– Wie konntest du so sorglos zählen?
Wie konntest du die Zahl nicht treffen?

Wie kannst, wie wagst du’s nicht zu sehn,
Dass sechs (zwei Brüder, und du selbst –
Der Dritte – mit Vater, Mutter, Frau daneben)
Macht sieben – solang ich auf der Welt!

Du hast den Tisch gedeckt für sechs,
Doch gibt’s auf dieser Welt noch eine.
Wie auf dem Feld der Vogelschreck,
Will ich’s Gespenst sein – mit den deinen,

(Mit meinen)…
Schüchtern wie ein Dieb,
– Nicht eine Seele zu betrüben! –
Am Plätzchen, das man mir nicht ließ,
Sitz ich, die man nicht rief, die Siebte!

Hopp! – hab ein Glas verschüttet! und
Was ich vergießen gewollt, das viele: –
Das Salz der Augen, das Blut der Wunden –
Läuft vom Tischtuch auf die Dielen.

Kein Abschied – nein! kein Sarg im Saal!
Den Tisch zu entzaubern, das Haus zu wecken.
Wie der Tod – zum Hochzeitsmahl,
Bin ich das Leben, und komme zum Essen.

“Nie war sie hilflos,doch immer - wehrlos…”… Bist mir nicht Bruder, Sohn, nicht Mann,
Kein Freund – und doch werf ich dir vor:
– Die Sechs bei Tisch sind Seelen nur,
Wenn sich für mich kein Plätzchen fand.

6. März 1941

Marinas Sohn Georgij Efron, der 1944 neunzehnjährig in seinem ersten Fronteinsatz des Vaterländischen Krieges fiel, hat in seinen Tagebüchern viel über seine Mutter festgehalten. Was von ihnen erhalten geblieben ist, wurde 2004 bei „Vagrius“ erstmals in einer Auflage von 3000 Exemplaren herausgegeben – ich fand nur diese Vorveröffentlichung, selbstredend auf Russisch…

Marina Zwetajewa. Sie war eine wilde Rose – und eine starke Frau. Und doch nicht stark genug. Am 31. August 1941 setzte sie ihrem Leben ein Ende. Und heute vor 66 Jahren wurde sie auf dem Friedhof im tatarischen Jelabuga (das ohne sie ein namenloser Ort in Russlands Weiten geblieben wäre) begraben – oder sollte man sagen: verscharrt? – denn ihr Grab ist bis heute unbekannt…
«И может быть, на мой закат печальный блеснет любовь улыбкою прощальной» (Пушкин)
Ihre Poesie aber bewegt nicht nur die Russen – bis heute.

Edit 8. September 2007: Jetzt erst gelesen: Der kleine Youtube-Film mit Bildern und Liedern zu den Gedichten von Marina Zwetajewa, den ich unter dem Bild mit den Birken verlinkt habe, stammt von einem jungen Mädchen, Soja. Sie hat ihn im November 2001 als Literaturarbeit für die Schule gemacht, die Verse selbst eingesprochen. Besonders berührt mich daran, dass der Film in seiner Art und Stimmung zu Sojas Vermächtnis geworden ist – denn kurz danach, im Januar 2002, ist sie gestorben…

Mehr zu Marina Zwetajewa in diesem Blog: hier.

Knast for fun – all inclusive

August 5, 2007 um 2:45 am | Veröffentlicht in BlogMist, Drumherum und anderswo, Hexen-Unfug, Hexentanz, Kultur, MarktLückenbauten, Mitmensch - unbekanntes Wesen, Uncategorized | 3 Kommentare

Urlaub par excellence decadence

Glaube mir, liebes Kind:
Wenn man einmal in Sansibar
Und in Tirol und im Gefängnis und in Kalkutta war,
Dann merkt man erst, daß man nicht weiß, wie sonderbar
Die Menschen sind.
(Joachim Ringelnatz)

Fernweh…Auch wenn der Sommer sich nicht so recht entscheiden mag, ob er nun einer ist, kann man es selbst als unverdrossener Weiterwerktätige/r einfach nicht nicht merken: es ist Urlaubszeit.

Ich bin reif für die Insel…Die Kollegen lassen dich mit deiner – und ihrer – Arbeit alleine. Das Überstundenkonto wächst und die Sekretärin tapeziert in fernwehen Anfällen von Masochismus ihre Pinnwand mit bunten Ansichtskarten von Südseeinseln und Nordlandfjorden, die die Abwesenden auf der Rückseite mit schadenfrohen Dreizeilern verziert haben. Das alljährliche große Reisen ist ausgebrochen…

Und was machen die Alles-schon-gesehen-Haber? Die Ohne-den-Kick-nicht regenerieren-Könner? Die Luxus-Überdrusser und Mainstream-Vermeider? Hey, wo leben wir denn! Keine Marktlücke, für die sich nicht noch ein Lückenbüßer fände.

Foto: Langholmen
130 - all inclusiveWie wärs denn in dem Falle dieses Jahr mal mit einem Urlaub im Knast – öh, also gänzlich freiwillig, versteht sich. Zelle 130 – all inclusive: Verhaftung, Gerichtsverhandlung, Anstaltskleidung und Henkersmahlzeit. Wem das noch nicht reicht, der kann auch noch einen Ausbruch buchen. Knasthotels sind groß im Kommen. In den meisten saßen vor wenigen Jahren sogar noch echte Knastbrüder und -schwestern ein. Das ist doch das Flair, das wir wollen: Urlaub hinter Gittern!

Besonders empfehlenswert finde ich das Angebot ja für Sozialpädagogen, Hauptschullehrer und Familienhelfer. Das da noch keiner drauf gekommen ist – die könnten dafür womöglich praktischerweise sogar Bildungsurlaub beantragen. Oder für renitente High-Society-Sprösslinge à la P. Hilton, als Training quasi. Oder als Akklimatisierung für entlassene Insassen des BB-Containers. Knast for fun – es leben die Geschäftemacher ohne Grenzen! Und vielleicht kann man durch eine gut gestylte PR dann auch gleich Signale für die echten Kriminellen setzen: die stellen sich nach dem Bruch in der Tanke , dem Autoklau oder Drogendeal umgehend am Gefängnistor an. – Wo andre Ferien machen, das muss doch Erholung pur sein…
Knast for fun
Foto: dpp
Wo wir grad bei einschlägigen Marktlücken sind: ich hätte da noch was Herziges für alle Urlaubsverhinderten. Teddybär goes MunichSchließlich will ich nicht schuld dran sein, dass die jetzt alle der Neid frisst. 😉 Wenn die Firma ohne euch zugrunde geht und ihr nicht selber fahren könnt, dann schickt doch euer – ähm, Kuscheltier. Nach München nämlich. Ferien für Bärli und Hasi, yeah! Als deutsche Inländer seid ihr mit euerm zerknuddelten Teddy für nicht mal schlappe hundert Euronen dabei. Plus Taschengeld selbstverständlich. Er wird es euch ewig danken. Und euch wochenlang von seinen unvergesslichen Erlebnissen erzählen, bevor ihr abends, eng aneinander gekuschelt, zusammen einschlaft… öööh, ja. Es gibt doch nix, was es nicht gibt. Und, nicht wahr, nix fehlt einem zum Glück mehr als eine erholte Plüschbestie. Wir bremsen buchen auch für (Kuschel)Tiere!

Hm, wieso muss ich grad nur dauernd an Steven King denken?
Foto: http://teddy-in-munich.com/index.html

Ein irrer Duft von frischem Heu

Juli 29, 2007 um 10:20 am | Veröffentlicht in Alles platti, Berlin, Drumherum und anderswo, Hexengeschichten, Kultur, Real-Poetisches, So Momente halt..., Zuhaus-Hexe | 4 Kommentare

Wiese vorm Hexenhaus …hangelt sich aus dem üppig sommergrünen Hofkarree an dreißig Metern Betonfassade nach oben – die Stadtgärtner haben gemäht. Es ist Zufall, dass ich gerade heute da mitten hinein stolpere; durch den Hinterausgang ist im akuten Fall eine Abkürzung. Ich liebe unseren stillen, schattigen Innenhof mit seinen rankenüberwucherten Pergolen, unter die sich hier und da ein idyllisches Rentnerbankerl duckt. Auf der großen Wiese liegen bemooste Steine und blankgesessene Baumstämme verstreut – dereinst ein Trick der Gartenarchitekten, um den Rasen vor den Fußballspielern zu retten. Die haben sie dann mit dem Bolzplatz hinter der Hecke versöhnt.

Ich kann nicht widerstehen, streife die Schuhe ab und wate durch die kühlen Grasschwaden auf dem frisch rasierten Grün. Ihr Geruch kitzelt verführerisch in der Nase. Und erinnert mich an die Sommer meiner Kindheit in Großmutters Garten…

Ohne Schuh’ durchs GrasDort durfte die Wiese wild wachsen; das Gras war so hoch und verfilzt, dass wir uns darin verstecken konnten. Mein Lieblingsplatz war unter dem knorrigen Apfelbaum, dessen Äste auf der einen Seite bis zum Boden reichten und ein Laubdach abgaben. Die hohen Halme darunter wurden im Halbrund zu einem Nest geflochten. In dem konnte ich ganze Tage lang auf dem Bauch liegen, mit einem Stapel Bücher neben mir und einem Körbchen Kirschen oder Beeren, die einem eh fast in den Mund wuchsen.

Draußen mähten die Bauern das Gras mit der Sense, man hörte das Zirpen der Grillen und nur ab und zu das Pfeifen des Wetzsteins, wenn die Mäher mit flinken, gleichmäßigen Bewegungen die Schneide schärften. Um dann bedächtigen Fußes weiterzuschreiten … Manchmal mussten wir mit hinaus zum Heuwenden: mit den großen hölzernen Rechen kehrten wir in langen Bahnen immer wieder das Unterste zu oberst und der weiche Armschwung wurde zur Routine. Und wenn ein Gewitter kam, hieß es alles in Windeseile schobern. Am schönsten war dann die Fahrt hoch oben auf dem beladenen Heuwagen – mitten in einer Wolke irren Dufts von frischem Heu…

Hach, genug geschwelgt. Und was man später noch so im Heu gemacht hat, ist schon wieder ’ne neue Geschichte. 😉

*

Der Titel ist übrigens geklaut geborgt, also entliehen sozusagen – bei Rudi Strahl, einem der beliebtesten und erfolgreichsten Theater- und Filmautoren des Ostens. Seine Komödie „Ein irrer Duft von frischem Heu“, 1975 im Maxim-Gorki-Theater uraufgeführt und permanent ausverkauft, war wohl das einzige Stück, das auch bei diversen (14) Theatern im Westen lange auf dem Spielplan stand. Sie wurde späterhin auch als Film in DDR-Starbesetzung zum Renner. Man könnte sie beinahe eine Ost-Version von „Don Camillo und Peppone“ nennen. Ei, und wer hätte das gedacht, der Film wird dieses Jahr in verschiedenen ‚Sommerkinos‘ wieder mal gezeigt.

Rudi StrahlRudi Strahl galt neben dem „Salonbolschewisten“ Peter Hacks als der Komödienautor der DDR. Seine Stücke erlebten damals über 560 Inszenierungen. Dazu kamen die Drehbücher zu mehr als 40 Kino- und Fernsehfilmen. Seine Werke waren etwas für diejenigen, die Satire und Kritik zwischen den Zeilen lesen, respektive hinter die scheinbar reinen Unterhaltungsszenen sehen konnten. Und wenn auch spät, ereilte ihn denn am Ende doch ebenfalls das Aufführungsverbot: seine Militär-Komödie „Das Blaue vom Himmel“ wurde 1985 an der (Ost-) Berliner Volksbühne kurz vor der Premiere abgesetzt und im Westen, in Osnabrück, uraufgeführt. Denn dass auf einmal die Himmlischen Heerscharen das Sagen haben, konnte man ihm wohl zu Hause nicht durchgehen lassen.

Sein Stern sank – zumindest teilweise zu Unrecht – nach der Wiedervereinigung. Er arbeitete noch für das gesamtdeutsche Fernsehen („Ein Kerl wie Samt und Seide“ 1991) und schrieb das Drehbuch für das Ostsee-Freiluftspektakel „Störtebeker“. 2001 starb er, kurz vor seinem 70. Geburtstag, in Berlin an Krebs.

Ich für meinen Teil mag auch den Dichter Rudi Strahl. Denn seine Verse atmen ach so Menschliches, feingesponnene (Selbst)Ironie und – Reale Poesie. Wie dieses hier:

Manchmal

Manchmal möchte man, auf Brücken stehend,
froh ins Wasser spucken wie als Kind;
doch weil Leute dort zu sehen sind,
schluckt man´s ´runter, mürrisch weitergehend.

Manchmal möchte man zu jemand sagen:
»O mein Engel, du – ich liebe dich!«
Doch man zögert und verkneift es sich
und spricht über kulturelle Fragen.

Manchmal möchte man vor Kummer flennen,
manchmal möchte man vor Freude schrein –
doch dann schämt man sich. Und läßt es sein.
Und besäuft sich höchstens. Und geht pennen.

Ach ja… vielleicht braucht man ja deshalb – manchmal! – diesen… irren Duft von frischem Heu…?

…und es wird noch heißer…

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