Ein Vierteljahrtausend alt – und kein bisschen tot

März 22, 2013 um 11:05 pm | Veröffentlicht in Bücherhexe, Berlin, BildungsLückenbauten, Hexenseele, Kalenderblätter, Kultur, Spielwiese | Hinterlasse einen Kommentar
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“Solang ein Mensch ein Buch schreibt, kann er nicht unglücklich sein”
(Jean Paul)

Stephan_Klenner-Otto_Buntstift_Jean_PaulEin Geschenk ist angefragt, vom Blognachbarn und Meister der Höllenfahrt und Weheklag, dem Wolf. Er regts nicht an und erbittet es nicht für sich selber, oh nein, sondern für einen guten alten Freund, der heuer sein 250. Wiegenfest feiern dürfte – so er es denn noch erlebt hätte,

“und zwar in dem Monate, wo mit ihm noch die gelbe und graue Bachstelze, das Rothkehlchen, der Kranich, der Rohrammer, und mehre Schnepfen und Sumpfvögel anlangten, nämlich im März; — und zwar an dem Monattage, wo, falls man Blüten auf seine Wiege streuen wollte, gerade dazu das Scharbock= oder Löffelkraut und die Zitterpappel in Blüte traten, deßgleichen der Ackerährenpreis oder Hühnerbißdarm, nämlich am 21. März; — und zwar in der frühesten frischesten Tagzeit, nämlich am Morgen um 1½ Uhr….”*

Der alte Freund ist Jean Paul, geboren ehedem noch als Johann Paul Friedrich Richter, aber den kennt wieder kaum einer.

Sehen wir mal davon ab, dass der März heutzutage offenbar auch nicht mehr das ist, was er mal war (wo gerade außer Schnee über Schnee überhaupt nix hier anlangt): was schenkt man einem, der schon alles hatte und sowieso gar nichts mehr braucht – seit nunmehr auch schon wieder über 187 Jahren?

Hmmm… versuchen wir es mal anders. Gesetzt den Fall, er könnte sich noch was wünschen: was täte ihn wohl freuen? –

Nun, er wollte gelesen sein. Und zwar nicht nur aus wirtschaftlichem Erhaltungstrieb, sondern weil er der Nachwelt etwas geben konnte. Dies lässt sich zumindest und unter anderem der Sechste[n] poetische[n] Epistel seiner Konjektural-Biographie entnehmen, in der er sich als “literarischen Jubilar” feiert:

Leipz. Im Nachsommer, 98
“…Ich stehe in dieser Epistel nun schon im Oktober des Lebens vor dir, mein Laub färbet sich, hängt aber noch, und der stumme Nachsommer zeigt Gespinste und Nebel auf der Erde und blauen Äther oben. Mach aber mit mir die Obstkammer dieses Herbstes auf und betrachte die kleine allgemeine deutsche Bibliothek samt den Supplementen, die ich in diesem kurzen Leben zusammengeschrieben habe….

‚…- – was war es? – Ein Traum? Aber in der kältesten Stunde des Daseins, in der letzten, ihr Menschen, die ihr mich so oft mißverstandet, kann ich meine Hand aufheben und schwören, daß ich vor meinem Schreibtisch nie etwas anderes suchte als das Gute und Schöne, soweit als meine Lagen und Kräfte mir etwas davon erreichen ließen, und daß ich vielleicht oft geirret, aber selten gesündigt habe. Habt ihr wie ich dem zehnjährigen Schmerz eines verarmten, verhüllten Daseins, eines ganz versagten Beifalls widerstanden, und seid ihr, bekriegt von der Vergessenheit, so wie ich der Schönheit, die ihr dafür erkanntet, treu geblieben?‘

Was geht mich die Jubelrede mehr an? Ich sage das: nur einmal wandert der Mensch über diese fliehende Kugel, und eilig wird er zugehüllt und sieht sie nie wieder; wie, und er sollte der armen, so oft verheerten und vollgebluteten Erde nichts zurücklassen als seinen Staub oder gar versäetes Giftpulver und Verwundete? – O wenn einer von uns eine Tagreise durch irgendeine stille Welt am Himmel, durch den milden Abendstern oder den blassen Mond tun dürfte: würd‘ er da, noch dazu wenn er ferne Seufzer hörte oder vergoßne Tränen fände, sein eiliges Durchfliehen mit herumgelegten Selbstgeschossen und ausgestreuten Dornen bezeichnen und nicht vielmehr, falls er könnte, mit irgendeiner geöffneten Quelle, mit einer zurückgelassenen Blume, oder mit was er zu erfreuen wüßte? – O es sei immer vergessen von der ganzen Zukunft, was ein sanftes Herz wollte und tat; wenn es nur unter dem Handeln sagen kann: nach langen, langen Jahren, wenn alles verändert ist und ich auf immer verflogen oder versenkt, da wirft vielleicht die Hand der Zeit den Samen des kleinen Opfers, das ich jetzt bringe, weit von mir und meinem Hügel zu irgendeiner Frucht oder Blume aus, und ein mattes Herz wird daran erquickt und schlägt voll Dank und kennt mich nicht. –

Mein Jubiläum ist aus; – aber jene Hoffnung ist eigentlich das rechte. – …”**

Ein bisschen J.P.3 klUnd gelesen wird er ja doch. Von mir jedenfalls (und nicht nur von mir) – und ich würde nichts von all dem Gelesenen missen wollen. Mein erster Jean Paul war ein schmales Bändchen von Kiepenheuer “Bemerkungen über uns närrische Menschen” – aus der Zeit, als ich noch ein exzessiver Aphorismen-Freak war. Das hat mittlerweile ein halbes Menschenleben auf dem Buckel und ich hab und mag es immer noch – doch sind mit den Jahren ein paar umfänglichere Jean Paulsche Auslassungen und Romane hinzu gekommen.

Um nochmal ein klein wenig auf der vom Wolf zitierten Weheklag eines Verlegers herumzureiten: Nein, das zehnbändige Gesamtausgaben-Möbel von Hanser beherberge ich nicht in meinen vier Wänden, werde es womöglich auch nie (oder doch?) und befinde mich damit offenbar in zahlreicher Gesellschaft von Leuten, denen der Mann durchaus nicht fremd ist. Wo liegt die Bemessungsgrenze für Jean Paul? Und w i e wird die Liebe zu seinen Werken gemessen? Etwa in Metern? Ich jedenfalls mag ihn sehr – wie bescheiden mein J. P.-Sammelsurium nun sein mag oder nicht.

“Mein Jubiläum ist aus”, schließt er – wohl etwas wehmütig – den Jubilierpart der Sechsten poetischen Epistel. Zum Glück ist es nicht so und womöglich würd‘ er vor Freude auf seinem Grabhügel tanzen, wenn er auskosten könnte, dass die deutsche Literatenwelt ihm ein ganzes Jean-Paul-Jahr schenkt. Das ist nicht wenig – so mancher bekanntere Kopf dümpelt ganz alltäglich durch sein halbvergessenes rundes Jubiläums-Anno, haben wir alles schon erlebt.

Auch hier in Berlin feiert und veranstaltet man ihn. Was nur recht und billig ist, denn bekanntermaßen veranlasste ihn die begeisterte Affinität der preußischen Lieblingsmajestätin Luise zu seinen Werken seit dem “Kleinen Musenhof” ihrer Schwester, nach hier umzuziehen – und zwar lange, bevor der Luisen-Fankult einsetzte. Und vielleicht ist dem Umtriebigen und Unsteten ja dieser Ortswechsel von Weimar nach Berlin gar nicht so schwer gefallen – sein Verhältnis zu Goethen und Schillern soll ja eher ein wenig unterkühlt gewesen sein, zumindest von deren Seite.

Das erste Event der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gestern Abend musste ich allerdings leider wegen Unkompatibilität des Timings mit dienstlicher Abkömmlichkeit schon mal verpassen: die Lesung der “Flegeljahre” in Untermalung durch Robert Schumanns “Papillons”, von selbigen inspiriert. Wünsche allen Anwesenden, viel Vergnügen dabei gehabt zu haben. Bleibt mir immer noch das “Dintenuniversum”, das beginnt erst im Herbst und zieht sich bis zum Jahresende hin, da wird ja wohl für einen Ausstellungsbesuch auch mal dienstfrei sein.

Jean Paul bescheidene Sammlung4 klUnd was schenk ich ihm nun, dem Jean Paul?

Zwei Dinge: Aufmerksamkeit bis ans Lebensende – also meines, und vorerst schmale dreißig Zentimeter in meinem Bücherregal – mit Platz für herzwarmen Zuwachs. Ach ja… und natürlich obigen bescheidenen Blogeintrag. Jubilierum jubilarum.

Ist es genehm, Wolf? 😉

Fehlt noch der Soundtrack für heute (na, wenn der sich nicht geradezu aufdrängt): die Papillons Op.2 von Robert Schumann, gespielt hier von Swjatoslaw Richter:

Quellen: * und ** aus: Jean Paul. Selberlebensbeschreibung. Konjektural-Biographie. Reclam 1971. Jean-Paul-Porträt: Buntstiftzeichnung von Stephan Klenner-Otto. 2010 – via Seite der Staatsbibliothek Bamberg. Bescheidene Jean-Paul-Büchersammlung 1 und 2: Ich, zu Hause.

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